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Sarrionandia entkam 1985 aus dem Gefängnis und ist seitdem flüchtig. Es gibt nur wenige Autoren, bei denen persönliche Lebenssituation und literarische Entwicklung derart miteinander verbunden sind: Nach einer ersten Phase des Kultismus verfolgte er im Gefängnis eine lyrische Linie über Gefangen- oder Eingeschlossensein sowie Entfernung und Trennung, die einen bedeutenden Einfluss auf andere Autoren, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Haftanstalten hatte. Seine Situation als anonymer Weltbürger führt ihn dazu, seine Persönlichkeit, das Hier und Dort immer wieder dialektisch zu hinterfragen.... All dies tut er stets mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Er ist einer der Autoren, die in der gegenwärtigen baskischen Literatur einen Bezugspunkt darstellen, insbesondere im Bereich Poesie und Kurzgeschichten.
DIE LANGEN UND NASSEN ZÜGE DER NACHT
Joseba Sarrionandia , 1987
Darin liegt, glaube ich, der größte Reiz einer Bahnreise. Die Geschwindigkeit ist so leicht und der Zug stört die Szenen, durch die er uns trägt, so wenig, dass sich unser Herz mit der Beschaulichkeit und Stille der Landschaft füllt; und während der Körper von der fliegenden Waggonkette vorwärts getragen wird, steigen die Gedanken, von der Stimmung gelenkt, an einsamen Bahnhöfen aus...
R. L. Stevenson, Ordered South
Die langen und nassen Züge der Nacht fahren ohne
Entfernung und Zeit zu ermessen
von Bahnhof zu Bahnhof: Aesland, Osinburg, Hirabian...
Es regnet und während der Maschinist schläft,
kann im zweiten Wagen der klandestine Reisende das Fenster
nicht schließen und wird nass,
so wie in den Güterwaggons Weizen, Elfenbein, Äpfel,
Postsäcke auch nass werden.
Die Wüste und die Fremde wachsen in dem Reisenden
wie eine grüne Pflanze,
als sie durch die in Bodennebel gehüllte Stadt fahren. Die Städte
erkennt man angeblich am Muff ihrer Zeitungen,
die leichten Mädchen leben an der nächsten Straßenecke,
erklären die Händler.
Je vám zima? Ano je mi zima
Ohne das aus dem Wort Strategie strömende Blut zu beachten, ohne Freudentaumel
bei einem Sieg, ohne Hoffnungslosigkeit bei einer Niederlage,
breitet das durch die Ebenen ziehende Heer die Fahnen der
Sozialrevolution aus.
Bodennebel, und dann die Hunde mit menschlichen Augen, und dann
die Menschen mit der Einsamkeit und Traurigkeit der Hunde.
Jak se máte? Dekuju mám se velmi dobre
In jedem Zug fährt ein klandestiner Reisender
mit seinem falschen Pass,
seiner falschen Brille, seinem falschen
Philosophiebuch,
und wird nervös, wenn der Zug bremst,
wenn eine Tür aufgeht...
Kdo jste? Kam jdete? Jak se jmenujete?
Und das Pärchen, das sich auf der Brücke umarmt,
eine Liebe wie eine
Lüge: oh Liebe, einfach und schwer für die, die nicht wissen
wie zu lieben und wie geliebt zu werden!
Zum Abendessen Fleisch, ein nasser und reifer Apfel, danach
Kaffee und Likör.
Der Beamte kommt und fragt, wohin ihr fahren wollt,
um die Antworten dann in sein kleines Heft zu schreiben.
Bahnhöfe und Tage verlieren sich, die einen in den anderen:
so vergeht das Leben der Menschen, die nicht im Zug fahren.
Übersetzung: Gabriele Schwab
© Joseba Sarrionandia
© Übersetzung: Gabriele Schwab